Flensburger Handwerk: Kreishandwerksmeisterin Kathrin Bindbeutel im Interview
Gelungener Führungswechsel mit charismatischer Ausstrahlung
Ob als Unternehmerin, Meisterin, Gesellin oder Auszubildende: Frauen übernehmen heutzutage in vielen Bereichen des Handwerks Verantwortung und tragen maßgeblich zum Unternehmenserfolg der Fachbetriebe bei. Vor allem in den Segmenten Dienstleistung und Gesundheit sind sie stark vertreten. Im Hinblick auf die Führungsebene gibt es laut Zentralverband des Deutschen Handwerks bundesweit jedoch noch deutliche Unterschiede zwischen den Gewerbegruppen. Leitende Positionen, wie zum Beispiel in den übergeordneten ehrenamtlichen Strukturen des organisierten Handwerks, werden mit Frauen eher nachrangig besetzt. Zeitgemäß und mit einem zukunftsgewandten Blick gut aufgestellt geht das Handwerk in Schleswig-Holstein in diesem Punkt voran. Zwei Vorbilder aus jüngster Zeit stellen dies unter Beweis. Bereits im Sommer 2021 wurde Nicole Bünning im Bezirk Rendsburg-Eckernförde zur ersten Kreishandwerksmeisterin des Landes gewählt. Im Herbst des vergangenen Jahres folgte ihr Kathrin Bindbeutel, die von den Delegierten der Kreishandwerkerschaft Flensburg Stadt und Land einen deutlichen Vertrauenszuspruch für eine verantwortungsvolle und repräsentative Führungsposition erhielt. Die neu gewählte Kreishandwerksmeisterin hat die Nachfolge von Günther Görrissen angetreten und steckt voller Tatendrang für ihre zukünftige ehrenamtliche Aufgabe. Kathrin Bindbeutel ist charismatisch und eine „Meisterin ihres Fachs“. Sie überzeugt mit Kompetenz, Einsatzfreude und einem mitreißenden Engagement. In einem exklusiven Interview geht die Friseurmeisterin aus Tarp und amtierende Obermeisterin der regionalen Friseur- und Kosmetik-Innung unter anderem auf die derzeitigen Herausforderungen der Fachbetriebe ein, äußerst sich zu aktuellen Maßnahmen der Bundespolitik und nimmt Stellung zur gesellschaftlichen Bedeutung des Handwerks.
Sehr geehrte Frau Bindbeutel. Seit Ihrem Amtsantritt an der Führungsspitze der Kreishandwerkerschaft Flensburg Stadt und Land ist inzwischen über ein halbes Jahr vergangen. Welche Themen bewegt das regionale Handwerk aktuell?
Die Auswirkungen im Zusammenhang mit den Maßnahmen der Corona-Pandemie sind noch deutlich spürbar. Auch die Materialbeschaffung gestaltet sich für die Fachbetriebe nach wie vor äußert schwierig. Die Gründe liegen in der Aussetzung oder teilweisen Reduktion von Produktionsprozessen durch die Umsetzung weltweiter Lockdowns. Dies führt zu Verzögerungen oder langen Lieferfristen. Die Lage ist derzeit noch unübersichtlich. Für manche Produktkategorien hat ein Aufholprozess stattgefunden, bei anderen Fabrikaten stockt es noch oder es kommt erst jetzt zu Engpässen. Dies spiegelt sich auch erheblich in den Kostenstrukturen wider.
Welche wirtschaftlichen Folgen ergeben sich daraus für die Fachbetriebe?
Knappe oder schwer zu beschaffende Ressourcen verändern den gesamten Abwicklungsprozess. Dies beginnt bei der Kalkulation und kann bis zu einer vorübergehenden Einstellung der Tätigkeiten führen. Der Bedarf an handwerklichen Ausführungsarbeiten und Dienstleistungen ist enorm gestiegen. Die Fachbetriebe verzeichnen durchweg volle Auftragsbücher, doch die Machbarkeit ist immer auch von den Möglichkeiten der Materialbeschaffung abhängig. Hinzu kommt, dass die Corona-Krise noch nicht komplett durchstanden ist und krankheitsbedingte Ausfälle bei den Mitarbeitern schwer zu kompensieren sind. Dies ist unabhängig vom generellen Fachkräftemangel. Von diesen Effekten sind besonders das Bauhauptgewerbe, das Dachdecker- Metall-, Elektro- sowie das Heizungs- und Sanitär-Handwerk betroffen. Verzögerungen wirken sich außerdem immer auf nachgelagerte Gewerke aus, wie zum Beispiel auf das Maler- und Lackierer-Handwerk. Die KFZ-Branche hingegen steht vor ganz anderen Herausforderungen. Das jetzt beschlossene Aus für Verbrenner-Motoren und die damit verbundene Orientierung an alternativen Technologien wird einen noch nie dagewesenen Umstellungsprozess bewirken.
Wo sehen Sie Ansatzpunkte für die Landes- und Bundespolitik, um wirksam eingreifen zu können?
Die Energie- und Beschaffungskosten explodieren. Bis zu welchem Grad wir jetzt auch noch von einem Stopp oder der Reduzierung von Gaslieferungen betroffen sein werden, ist mit vielen Unsicherheiten verbunden. Die Anzeichen sind alarmierend. Die bekannten Probleme aus Corona-Zeiten haben durch den Ukraine-Krieg eine zusätzliche Verschärfung erfahren. Der Druck auf die Betriebe steigt und gut gemeinte Entlastungspakete müssen auch bei denen ankommen, für die sie geschnürt worden sind. Ich spreche hierbei explizit den Tankrabatt an. Unsere Betriebe stehen jeden Tag vor der Herausforderung der Fuhrpark-Unterhaltung. Der Tankrabatt ist zumindest zum Einführungszeitpunkt teilweise verpufft. Inzwischen erzeugt die Maßnahme spürbare Effekte. Im Zusammenhang mit der geplanten Energiekostenpauschale für Arbeitnehmer haben die Behörden erfreulich nachgebessert. Mit Stand vom 17. Juni können Arbeitgeber jetzt die Energiekostenpauschale gesondert vom Gesamtbetrag der einzubehaltenden Lohnsteuer entnehmen. Unsere Betriebe profitieren aber auch von staatlichen Unterstützungsangeboten, die eine direkte und nachhaltige Wirkung entfalten. Die Bundesregierung hat schon Ende Februar und zusätzlich im März einiges unternommen, um Arbeitgebern, die weiterhin von der Pandemie und jetzt vom Ukraine-Krieg betroffen sind, unter die Arme zu greifen. Dazu zählt zum Beispiel neben der Verlängerung der herabgesetzten Zugangsvoraussetzung für das Kurzarbeitergeld ebenfalls die Ausdehnung der Antragsfrist für Überbrückungshilfen.
Frau Bindbeutel. Die derzeitigen Herausforderungen der einzelnen Gewerke haben Auswirkungen auf zahlreiche Lebensbereiche. Kunden und Auftraggeber müssen sich verstärkt in Geduld üben. Wie stufen Sie generell den Stellenwert des Handwerks innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen ein?
Die verschiedenen Handwerkerleistungen unserer Fachbetriebe werden tagtäglich in Anspruch genommen. Individuelle Lösungen in den Segmenten Produkte oder Dienstleistungen sind eine Stärke des gesamten Handwerks. Davon profitieren Privatverbraucher, der Handel oder das produzierende Gewerbe sowie die öffentliche Hand. Wir sind Kern und wesentlicher Teil des Mittelstands und prägen die Strukturen des öffentlichen Lebens maßgeblich mit. Ich stufe den Stellenwert unseres produktiven Wirkens für die Gesellschaft sehr hoch ein. Mit einem Blick zurück wird immer wieder deutlich, was Handwerker für die gesellschaftliche Weiterentwicklung und den stetigen Fortschritt geschaffen haben. Aus ihren Händen entstehen Werte, die einen Nutzen generieren. Sie agieren kreativ, können differenzieren und verfügen über ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit. Handwerker sind treibender Motor für Innovationskraft. Innerhalb einer gut aufgestellten Interessenvertretung, wie zum Beispiel im Verbund einer regionalen Kreishandwerkerschaft oder einer bundesweiten Organisation, kann gemeinsam noch viel mehr erreicht werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Petition des Zentralverbandes des „Deutschen Friseur Handwerks“. Die Initiative „Friseure brauchen Zukunft. 7% Jetzt!“ fordert gegenüber der Politik die Herabsetzung des Mehrwertsteuersatzes für Friseurdienstleistungen von 19 auf 7 Prozent. Innerhalb weniger Wochen sind bundesweit schon 50.000 Unterschriften zusammengekommen.
Es bedarf vieler Impulse, um die Politik auf die Sensibilität einzelner Branchen aufmerksam zu machen. Ist denn keine nachhaltige Erholung in der Friseur- und Kosmetik-Branche nach der Aufhebung der Lockdown-Maßnahmen eingetreten?
Angemessene Löhne, faire Preise und entsprechende Steuern unter einen Hut zu bringen, ist in der heutigen Zeit nicht immer ganz einfach. Die Corona-Krise hat zu einer deutlich reduzierten Nachfrage und teilweise Null-Umsatz-Zeiten geführt. Hinzu kommen steigende Energiepreise, hohe Inflationsraten und teilweise Mietpreiserhöhungen. Wir wollen mit dieser Initiative des Zentralverbandes bewirken, dass die Leistungen unserer Branche für die Kundschaft bezahlbar bleiben. Und dass dies möglich ist, zeigen gut funktionierende Maßnahmen für die Gastronomie. Denn um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Einschränkungen abzumildern, gilt für Speisen in Restaurants seit 1. Juli 2020 der reduzierte Mehrwertsteuersatz. Diese Maßnahme ist jetzt bis Ende 2022 verlängert worden. Auch die Friseur-Branche benötigt diese Anpassung, um die Folgewirkungen der Pandemie und weiterer Auswirkungen zu kompensieren. Darüber hinaus geht es um die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit, denn Tätigkeiten wie unsere, die also sehr personalintensiv sind und von menschlicher Hand anstatt von Maschinen ausgeführt werden, sollten keine Belastung mit einem zu hohen Mehrwertsteuersatz erfahren. Eine Folge der Beibehaltung könnte sein, dass sich zu viele Kundinnen und Kunden einen Friseurbesuch einfach nicht mehr leisten können. Die Anpassung ist auch ein gutes Instrument dafür, um Missbrauch oder Schwarzarbeit einzudämmen.
Viele Dank für das Gespräch.
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